Die Kunst des Loslassen
Im Laufe des Lebens sammeln wir immer mehr an. Seien es Dinge, Gedanken, Verhaltensweisen, Menschen. Manchmal sind all diese gut für uns, manchmal wachsen wir aus ihnen heraus. Das Leben ist ein ständiger Wandel, und die Fähigkeit, loszulassen, ist nur ein Teil davon. Denn um Neuem Raum geben zu können, müssen wir alten Ballast loslassen, der uns nicht mehr dient. Loslassen bedeutet somit nicht das Vergessen von negativen Emotionen, sondern einfach Platz für Neues zu schaffen. Erinnere dich nur einmal wie gut es sich anfühlt, wenn zum Beispiel der Frühjahrsputz beendet ist oder man Kleidung und Gegenstände ausgemistet hat, die man nicht mehr trägt oder benötigt.
Häufig ist der Prozess des Loslassens jedoch gar nicht so einfach. Denn Veränderungen können Angst machen. Angst, weil sie meist Ungewohntes und Neues mit sich bringen. Und häufig fühlt es sich leichter an in dem gewohnten Umfeld, Gedankengängen oder Personen hängen zu bleiben, auch wenn uns diese Situation vielleicht unglücklich macht.
Wenn wir nicht loslassen können, suchen wir häufig nach Möglichkeiten zur Flucht. Wir füllen unsere Terminkalender bis oben hin, wir interessieren uns zu sehr für das Leben anderer, wir sehen fern, bingewatchen Serien oder betäuben uns mit Drogen oder Alkohol. Dies kann zu Trägheit bis Depressionen, Schlaf- und Konzentrationsstörungen sowie Kopfschmerzen und Problemen mit der Verdauung führen.
„Manche Leute glauben, Durchhalten macht uns stark. Doch manchmal stärkt uns gerade das Loslassen.“
– Herman Hesse
Achtsam loslassen
Allein aus der gesundheitlichen Perspektive ist es deshalb sinnvoll, ab und an in sich zu gehen, um zu fühlen, was sich noch gut für einen selbst anfühlt und was nicht. Viel öfter sollten wir uns erlauben den Emotionen, Gedanken, Empfindungen Raum zu geben, sie zu spüren und sie anschließend zu benennen. Wenn wir sie nennen und versuchen rational zu betrachten ohne sie bewerten, können wir uns leichter von ihnen distanzieren und sie leichter loslassen.
Viel häufiger sollten wir versuchen präsent zu sein. Im Hier und Jetzt. Nicht in der Vergangenheit und nicht in der Zukunft. Wir sollten uns des Momentes bewusst werden, denn dieser wird vergehen. Was bleibt sind die Erinnerungen daran. Wir haben es in der Hand, wie wir diese Erinnerung aussehen soll.
Weitere Möglichkeiten des Loslassen sind geführte Meditationen und Journaling. Insbesondere Achtsamkeitsmeditationen erweisen sich hier als hilfreich. Anschließend können in der Meditation aufgekommene Gedanken und Emotionen niedergeschrieben werden und so aus unseren Köpfen losgelassen werden. Meditation und Journaling lassen sich so gut verbinden.
Häufiger sollten wir Dinge so akzeptieren wie sie gerade sind, auch wenn wir sie gerne anders gehabt hätten. Nicht selten führen diese „Planänderungen“ doch zu guten Ausgängen.
Loslassen im Yoga
Im Yoga wird davon ausgegangen, dass besonders im Hüftbereich viele Blockaden und verdrängte Emotionen sitzen. Deshalb eignen sich insbesondere Hüftöffner zum Loslassen. Diese lassen sich auch sehr gut mit Yin Yoga verbinden. Wenn wir Yin Yoga praktizieren, dann üben wir die Kunst des Loslassen. Yin bedeutet, eine Form zu genießen, die authentisch ist, ohne den Körper zu zwingen, sich zu verändern. Es bedeutet, sich in die Knochen zu entspannen, still und freundlich zu sein. Das Festhalten aufgeben. Eine regelmäßige Yin Yoga-Praxis wird sicherlich Muskelschmerzen lindern. Aber es spricht eine tiefere Ebene an als die dynamischeren „Yang“-Yogastile. Yin Yoga arbeitet mit dem Bindegewebe unserer Bänder, Gelenke und Knochen. Es greift auf die tiefen Fasziennetze zu, die sich durch alle Elemente unseres Körpers ziehen. Es handelt sich dabei um ein durchgehendes Bindegewebe, das von Kopf bis Fuß besteht, so dass sich eine Einschränkung in einem Teil auf alle anderen Teile auswirkt, und in den Faszien ist unser Trauma gespeichert. Körperliche Verspannungen sind die Manifestation von emotionalen Traumata.
Auf diese Weise schafft Yin Yoga einen Raum, in dem wir uns von hemmenden Gedankenmustern lösen können. In dem Maße, in dem die Faszien losgelassen werden, lösen sich auch die psychologischen Traumata, die sie enthalten. Deshalb können bestimmte Stellungen eine Welle von Emotionen auslösen, wenn gespeicherte Energien gelöst und losgelassen werden. Und ohne diese Gedankenmuster können wir den Kern dessen entdecken, was wir sind. Nicht der, der wir waren, nicht der, der wir sein werden, sondern das sich ständig verändernde Kaleidoskop unseres gegenwärtigen und wunderschönen Selbst, genau jetzt.
Und dann brauchen wir uns nicht mehr an überholte Besitztümer, Menschen oder den Verstand zu klammern. Denn genau dort auf der Matte, in der Stille und im Frieden, werden wir uns daran erinnern, dass wir genug sind. Wir werden immer genug sein.
Versuche das Loslassen zu einer Gewohnheit zu machen. Lasse all die Dinge los, die dir nicht mehr dienen: voreilige Meinungen, Überzeugungen, wie Dinge aussehen sollen, wie Dinge sein sollen, wie Leute sein und aussehen sollen.
„Erlaube dir Menschen, Gedanken und Situationen loszulassen, die dein Wohlbefinden beeinträchtigen. Liebe dich selbst genug, um in deinem Leben ein Umfeld zu schaffen, das deinem persönlichen Wachstum förderlich ist.“
– Steve Maraboli
Loslassen ist nichts, das auf einmal passiert. Loslassen ist ein stetiger Prozess, in dem man in der Gegenwart lebt und voranschreitet, auch wenn man nicht weiß wohin der Weg führt. Es kommt auch immer wieder vor, dass man dachte man hat eine Sache bereits losgelassen und dann kommt sie wieder auf. Sei insbesondere dann nachsichtig mit dir und kehre zurück in die Gegenwart.
Je mehr wir loslassen, was wir nicht mehr in unserem Leben benötigen, desto mehr können wir akzeptieren, was wirklich (wichtig) ist. Desto mehr können wir Momenten die Möglichkeit geben neue Anfänge, Veränderung und Wachstum zu sein.